Barbara Gerber
1990

Ein Beitrag zur historischen Antisemitismus- und Rezeptionsforschung

Am 4. Februar 1738 wurde Joseph Süß Oppenheimer, verhaßter Finanzienrat des plötzlich verstorbenen Herzogs Carl Alexander von Württemberg, unter großem Publikumsandrang vor den Toren Stuttgarts hingerichtet. Nur einer unter den zahlreichen Hofjuden des Barock, stellte er doch in mancherlei Hinsicht eine epochale Ausnahmeerscheinung dar: als erster dem Judentum entsprossener Geheimrat eines deutschen Landes, als durchaus eigenständiger jüdischer Politiker im Dienst des Absolutismus, als Günstling und umstrittenes Mitglied der höfischen Gesellschaft, als galanter Kavalier, als früh aufgeklärter, vorzeitig assimilierter, ja emanzipierter Jude. Inhalt dieser Untersuchung ist das gespannte Verhältnis von Deutschen und Juden, wie es sich in den Zeugnissender ungewöhnlich vielfältigen, dauerhaften und politisch brisanten Rezeptions- und Wirkungsgeschichte des sogenannten „Jud Süß" spiegelt. Aus der Fülle der populären Gestaltungen durch die Mit- und Nachwelt wird die jeweilige Gestalt des typischen Juden aus nichtjüdischer Sicht, das zeittypische Judenbild, wissenschaftlich er-schlossen. Als wesentliches Bindeglied zwischen vormoderner christlicher Judenfeindschaft und antimodernistischem politischem und rassischem Antisemitismus der Moderne ist einspezifisch neuzeitlicher Judenhaß auszumachen, der sich in Abwehr gegen die „Politisierung" der Welt und der Weltanschauung herausbildete.

 

Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden - Band XVI

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